Spread the love

Seit dem iPhone 14 bewirbt Apple die satellitengestützte Notruffunktion als revolutionäre Sicherheitslösung für Outdoor-Enthusiasten und Abenteurer. Auch auf See stellt sich die Frage: Ist das iPhone damit ein ernst zu nehmendes Notfall-Tool für Segler? Dieser Beitrag liefert eine differenzierte Einschätzung.

Die Architektur des Notrufsystems

Die technische Grundlage bildet das Globalstar-Satellitennetz mit Satelliten, die die niedrige Erdumlaufbahn (LEO) nutzen. Globalstar bietet keine vollständige globale Abdeckung, sondern fokussiert sich auf große Teile Nordamerikas, Europas, Australiens sowie ausgewählte Küstenregionen. Besonders entlang europäischer Küsten – etwa Nord- und Ostsee oder Teile des Mittelmeers – ist der Empfang häufig stabil genug, um eine Satellitenverbindung auch von Bord kleinerer Boote aus herzustellen. Für Segler, die sich im Bereich von 30–50 Seemeilen Entfernung zur Küste bewegen, kann der Dienst daher grundsätzlich erreichbar sein. In offenen Ozeanregionen hingegen bestehen teils erhebliche Lücken.

Globalstar ist möglicherweise durch die SPOT-Modelle bekannt, die seit 2007 erst Ein-Weg und dann 2018 Zwei-Wege-Kommunikation zum Tracking und für den Notfall auf dem Markt angeboten haben.

Der Notruf wird per Textdaten über einen strukturierten Fragebogen per Satellit an eine Landstation und dann weiter an einen privaten Emergency-Response-Dienstleister: FocusPoint International weitergeleitet. Dieser wertet weltweit Notrufe aus und leitet die an zuständige Stellen – nach eigenen Angaben auch maritime RCCs (Rescue Coordination Centres) – weiter.

Apple, Globalstar und der Markt

Apple beteiligt sich seit 2022 erheblich an Globalstar, finanziert die Netzinfrastruktur und nutzt für den Satellitendienst exklusiv 85 % der Globalstar-Kapazitäten. Damit ist Apple nicht nur Kunde, sondern faktisch Betreiber der kritischen Infrastruktur. Nutzer erhalten den Dienst derzeit für zwei Jahre kostenlos ab Aktivierung ihres iPhones (ab iPhone 14). Ein klares Geschäftsmodell für die Zeit danach liegt bislang nicht vor, eine kostenpflichtige Verlängerung oder Integration in iCloud+-Pakete wird zwar erwartet, ist jedoch Stand April 2025 nicht umgesetzt.

Auf Basis der Verkaufszahlen von iPhone 14 und neuer wird geschätzt, dass 30 % der iPhone-Nutzer theoretisch Zugriff auf diesen Dienst haben.

Was passiert im Notfall?

Im Notfall wird der Nutzer durch einen interaktiven Fragenkatalog geleitet (z. B. Art des Notfalls, Personenanzahl, Verletzungen, Fahrzeugtyp). Diese Informationen, Notfallkontaktdaten im Telefon und der GPS-Standort werden via Satellit an FocusPoint übermittelt. Obwohl das System für Notfälle an Land konzipiert wurde, soll es auch die Möglichkeit geben, einen Boots- oder Yachtunfall zu melden und eine Auswahl an Antworten dazu abzugeben. Zusätzlich gibt es ein Freitextfeld für Ergänzungen, was in einem maritimen Notfall sicherlich hilfreich ist.

Praktische Tipps für Wassersportler

  • GMDSS-konforme Systeme an Bord verwenden und Redundat planen:
    SRC/LRC-Funk, EPIRB, DSC, ggf. AIS-SART, Inmarsat- oder Iridium-Kommunikationssysteme und immer auch nicht strombetriebene Seenotsignale (wie Pyrotechnsiche Notsignale)
  • DGzRS-Kontaktdaten ins Telefon speichern:
    Rufnummer des MRCC Bremen: +49 421 53 68 70 
  • Nummer des MRCC Bremen als ‚SAR – Maritime Emergency‘ unter Notfallkontaktdaten speichern, da diese Daten bei der Satelliten-Notalarmierung weitergeleitet werden
  • Freitextvorschlag für Apple Notrufsystem im Seenotfall: 
    MAYDAY.
    This is [Schiffsname/ Rufzeichen].
    Relay to MRCC Bremen (SAR)

Fazit: Nützlich, aber nicht standardtauglich

Das satellitengestützte Notrufsystem von Apple ist innovativ und hilfreich – besonders, wenn andere Systeme versagen. Dennoch ist es kein Ersatz für professionelle Seenotalarmierungssysteme und kann höchstens der Plan C oder D in der persönlichen Notfallalarmierung sein. Wer sich auf See bewegt, sollte seine Rettungsmittel kennen, sie redundant auslegen und wissen, wie sie im Notfall wirken. Ein privat finanziertes Notfallsystem mit intransparentem Bezahlsystem, das zudem von dem Hersteller der Geräte abhängig ist, kann im besten Fall ein letztes Backup sein.


Autor: Klaus Schlösser ist seit 20 Jahren Ausbilder für SRC und LRC-Funkzeugnisse in Bremen, Buchautor für UKW-Funkzeugnisse im See- und Binnenbereich und Entwickler von Funksimulationssoftware. In dieser Eigenschaft verfolgt er seit Jahren die Entwicklung im Seefunkbereich und ist grundsätzlich offen, aber auch kritisch gegenüber neuen Technologien für die maritime Sicherheit eingestellt. Er ist überzeugt, dass man auch als Wassersportler die Grenzen der eingesetzten Technologie an Bord kennen muss.


Glossar

  • DSC (Digital Selective Calling): Digitales Selektivrufsystem für UKW- und Kurzwellenfunk im GMDSS.
  • EPIRB (Emergency Position Indicating Radio Beacon): Notfunkbake zur Alarmierung bei Seenot, sendet automatisch Positionsdaten.
  • FocusPoint International: Privater Emergency-Response-Dienstleister, der Notrufe auswertet und an lokale Rettungsstellen weiterleiten soll.
  • GMDSS (Global Maritime Distress and Safety System): Internationales Not- und Sicherheitssystem für die Seeschifffahrt.
  • Globalstar: Betreiber eines LEO-Satellitennetzwerks, das u. a. für das Apple-SOS-System genutzt wird.
  • iCloud+: Apples Premium-Dienst für erweiterte iCloud-Funktionen – potenziell ein künftiger Kanal für kostenpflichtige SOS-Dienste.
  • Inmarsat: Betreiber eines globalen, geostationären Satellitennetzwerks für maritime Kommunikation, Teil des GMDSS.
  • Iridium: Satellitenkommunikationsanbieter mit globaler LEO-Abdeckung, auch für maritime Sicherheitsanwendungen geeignet.
  • LEO (Low Earth Orbit): Satellitenumlaufbahn in geringer Höhe (etwa 200–2000 km), ermöglicht schnelle Datenübertragung bei begrenzter Reichweite pro Satellit.
  • LRC (Long Range Certificate): Funkzeugnis für weltweite Nutzung von Seefunkanlagen (z. B. Kurzwelle, Satellitenfunk), vorgeschrieben für bestimmte Fahrtgebiete.
  • NAVTEX: System zur automatischen Aussendung von maritimen Sicherheitsinformationen.
  • PLB (Personal Locator Beacon): Persönlicher Notsender, ähnlich wie EPIRB, meist manuell aktiviert.
  • RCC / MRCC (Rescue Coordination Centre / Maritime Rescue Coordination Centre): Leitstellen für die Koordination von Rettungseinsätzen zu Wasser (MRCC) oder an Land (RCC).
  • SAR (Search and Rescue): International gebräuchlicher Begriff für Such- und Rettungsdienste im maritimen und luftgestützten Bereich.
  • SPOT: Satellitenbasierte Notfall- und Trackinggeräte auf Basis des Globalstar-Netzes, genutzt für Outdoor- und maritime Anwendungen.
  • SRC (Short Range Certificate): International anerkanntes Funkzeugnis für die Nutzung von UKW-Seefunkanlagen im GMDSS-Bereich A1.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert